Der Winter lässt uns noch einmal von Sommer und unseren Klappstuhl-Konzerten träumen.
Den Auftakt zu unserer Tour bildete Anfang August 2024 das Sponsorenkonzert in unserer Wahlheimat Leipzig. Auf dem Gelände der ehemaligen Likörfabrik »Monopol« (heute ein Kulturhof) waren Freund*innen und Förder*innen zu einem kulinarischen und musikalischen Abend eingeladen. Da konnten wir noch nicht ahnen, was wir in den nächsten zwei Wochen alles erleben würden. Eine Tournee ist immer eine Zeit voller Zeitlosigkeit. Zwei Wochen können sich dann anfühlen wie ein ganzes Jahr, da so viele Ortswechsel und Eindrücke aufgenommen und verarbeitet werden müssen, während ja auch noch Konzerte stattfinden.
Erster Halt: Skatstadt Altenburg. Eine hübsche Stadt in Thüringen, die nur 50 Minuten entfernt von Leipzig gerade noch ihren Dornröschenschlaf schlummert (»Eine Reise dorthin lohnt sich«, möchte Ensemble Mitglied Franziska Hiller anmerken. Gut, sie ist ein bisschen befangen, da sie dort geboren wurde.). Unser Freund Axel Meier übernahm wieder die Betreuung des »guten Tons« für die ersten drei Konzerte, für die anderen Konzerte konnte ein neuer Freund, Stanley Becker, übernehmen. Unabdingbar bei allen Konzerten war Martin McKeen, der unsere fahrbare Bühne, den Barkas B-1000, fuhr, mit uns alles auf- und abbaute und jedwede plötzlich entstehenden Probleme löste. Es kann schon vorkommen, dass der Barkas nicht anspringt und man dann doch mit dem Hammer auf den Anlasser schlagen muss, damit der Motor wieder schnurrt.
Nächste Station: Zunächst führte uns der Weg zum liebevoll hergerichteten Schloss Zingst im Unstruttal. Die Gegend ist bekannt für ihre schöne Landschaft und die guten Weine (können wir bestätigen). Der Schlossherr und seine Frau waren von Baden-Württemberg und Berlin nach Zingst gezogen, um das alte Rittergut vor dem Verfall zu bewahren. Mit den Worten: »Ganz in der Nähe wurde die Himmelsscheibe von Nebra gefunden und bitte nicht mit dem Zingst an der Ostsee verwechseln«, wurden wir vom Schlossherrn herzlich mit breitem schwäbischen Dialekt empfangen. Er schilderte, dass die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort nicht immer einfach sei. Um die Ursachen zu ergründen oder zu verstehen, war die Zeit zu kurz. Aber auch solche Gespräche machen nachdenklich. Eigentlich steht hier doch jemand mit guten Absichten, oder? Ostdeutschland ist (Wahl-)heimat der Daffkes und natürlich sind uns die Themen und Konflikte, die an solchen Orten auftreten, auch vertraut. Ein Großteil der Bausubstanz (gerade in den Städten) gehört Eigentümern aus den »alten Bundesländern«. Trotzdem stellt sich uns die Frage: Wie kann man hier gemeinsam gestalten? Was braucht es, damit Menschen sich an ihren Wohnorten für die Gemeinschaft und den Ort engagieren? Wie viel Teilhabe und Teilgabe ist nötig und vor allem: wer entscheidet?
Nächster Halt: Gut Kahnsdorf! Im 18. Jahrhundert erwarb die Gelehrtenfamilie Ernesti das Rittergut und katapultierte den Ort kurzzeitig auf die literarische Weltbühne. Am 1. Juli 1785 lud Johann Christian Ernesti die Herren Schiller und Körner ein. Dieses Treffen entpuppte sich als der Beginn einer innigen Freundschaft, die Schiller angeblich zu seinem »An die Freude« inspirierte. So zumindest schildert es eine Gedenktafel vor Ort. Ohne Kahnsdorf wäre also Beethovens 9. Sinfonie eine andere. Daran werden wir beim nächsten Silvesterkonzert alle denken 🙂 – Beim Feuerwehr- und Parkfest tummelten sich viele fröhliche Menschen aller Generationen. Zwischen Hüpfburgen, Imbissbuden und Partyzelt fand auch unsere Wanderbühne ihr Plätzchen. Der Barkas sorgt eigentlich überall, wohin er kommt, für freudige Gesichter und regt die Menschen an, mit uns ihre Geschichten, die sie mit dem Gefährt verbinden, zu teilen. Allerdings begegnete uns auch eine kleine Gruppe von Menschen, die offen und selbstverständlich T-Shirts mit »Strength through Joy«-Aufdruck (dt. »Kraft durch Freude«) und mit dem SS-Symbol der »Schwarzen Sonne« trugen. Dieses Symbol ist nicht verboten; wer es trägt, möchte höchstwahrscheinlich trotzdem eine klare Botschaft senden. – Im ersten Moment fühlten wir uns fremd und fehl am Platz und überlegten auch, unser Programm umzustellen. Dann haben wir doch alles gespielt wie geplant. Es bildete sich ein Publikum auf den Bierbänken vor der Wanderbühne, das sehr aufmerksam und freudig zuhörte. Hinterher wurden wir von verschiedenen Menschen angesprochen, einige freuten sich, dass »endlich auch mal Leute wieder deutsche Musik spielen«. Wer sitzt im Publikum? Für wen wollen wir spielen? Welche Stücke spielen wir?
Die Auswahl des Repertoires für diese Tour war ein Kapitel für sich. In unserer 10-jährigen Daffke-Geschichte haben wir ein reichhaltiges Repertoire erarbeitet, doch nicht jedes Chanson passt zu jedem Anlass. Wie bei einem guten Gericht geht es auch bei einem Konzert darum, die richtigen »Zutaten« miteinander zu verbinden: nicht zu süß, nicht zu sauer und auf gar keinen Fall zu bitter. Ein Grund, warum wir nie müde werden, die Lieder und Chansons aus den 1920ern zu singen und zum Leben zu erwecken, ist ihre textliche Zeitlosigkeit. Manchmal, weil sie von Sehnsucht und Liebe handeln – Themen, die durch alle Zeiten wandern. Und manchmal, weil besonders die Lieder aus der Weimarer Republik eine Elektrizität in sich tragen: ein »Wehret den Anfängen«. Geschichte wiederholt sich nicht auf die selbe Weise, aber diese Chansons tragen 100 Jahre später eine Warnung für uns heute in sich. Für die diesjährige Tournee haben wir ein Chanson aus unserem ersten Programm zurück auf die Bühne geholt. Als Ensemble-Mitglied Markus Paul 2014 dieses Stück zum ersten Mal sang, schauderte es uns. Und 10 Jahre später wird Friedrich Hollaenders Prophezeiung in »Der Spuk persönlich« noch schmerzhafter:
Das hat man von der Spukerei
Is‘ alles kalter Kaffee
Es ist auch keine Kunst mehr bei
Heut‘ spukt schon jeder Affe
So Geister ohne Kopf, Kopf, Kopf
Ein Kinderschreck nur meist‘ sind
Viel schauriger, viel trauriger
Die Köpfe ohne Geist sind
Trotzdem man längst davon genug
Gibt’s immer noch so einen Spuk
»Huhu, huhu, dudududu-dudu
Ich bin der kleine Hitler und beiße plötzlich zu
Huhu, huhu – ihr alle werdet in den bösen Sack gesteckt
Huhu – haha – hihi – wauwau!
Kein Aas hat sich erschreckt.«
Was tun? Eine gute Frage, eine große Frage. Eine Frage, auf die wir keine einfache Antwort haben. Kann man durch ein Lied das Wahlverhalten beeinflussen? Kurz nach unserer Klappstuhl-Tour sollten die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen stattfinden.
Nächster Stopp: Bautzen. Kurz zuvor war die Stadt in der Lausitz im Rahmen des Christopher Street Days (CSD) aufgrund von Störungen aus dem rechten Milieu in die Nachrichten geraten. Für viele queere Menschen ist der CSD mehr als eine bunte Parade mit greller Kleidung und lauter Musik. Es geht um Sichtbarkeit und um die Öffnung von Dialogräumen. Der CSD ist ein Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und allgemein von queeren Personen. An diesem Tag wird für die Rechte dieser Gruppen sowie gegen Diskriminierung und Ausgrenzung demonstriert. In Bautzen zündeten »Gegendemonstranten« unter Applaus eine Regenbogenfahne an.
Einige Tage später fand nun im Mehrgenerationenhaus in Bautzen-Gesundbrunnen unser Konzert statt. Im Vorfeld diskutierten wir Daffkes, inwiefern wir im Rahmen unserer Konzerte auf die aktuelle Situation reagieren wollen. Wir entschieden uns, durch eine Moderation den Komponisten Fritz Löhner-Beda besonders herauszuheben. Seine Lieder begleiten uns von Anfang an und sind voller schöner und melancholischer Töne. Als jüdischer und homosexueller Mann wurde er besonders durch die Nazis schikaniert und schließlich ermordet. Aus den 1920er Jahren stammt ebenfalls »Das Lila Lied«, die erste Hymne der Homosexuellen, gewidmet im Übrigen Magnus Hirschfeld, einem deutschen Arzt und Sexualwissenschaftler, der schon um 1900 mit seinem Buch »Berlins Drittes Geschlecht« den Lesenden einen Einblick in das Leben der Homosexuellen in Berlin um die Jahrhundertwende gewährte. Das Einstehen für Gleichbehandlung bleibt wichtig.
Im Mehrgenerationenhaus in Bautzen (Trägerschaft ev. Kirche) gaben uns die engagierten Koordinator*innen Einblick in ihre tägliche Arbeit: Freizeitangebote für Jugendliche, Strickzirkel für Rentner*innen, Mittagstisch für einen fairen Preis. Sie erzählten Geschichten von Jugendlichen, die trotz aller Bemühungen in die rechte Szene abrutschen. Aber das Mehrgenerationenhaus ist ein sicherer Ort für Jugendliche und eine Möglichkeit Teil einer Gemeinschaft zu sein, deren Zusammenhalt nicht auf der Ausgrenzung Anderer beruht. Auch das Mehrgenerationenhaus Bautzen sieht sich mit Unsicherheiten bezüglich der zukünftigen Finanzierung konfrontiert.
Letzter Halt: An den allermeisten Orten begegneten wir aufgeschlossenen Menschen, die Lust hatten, etwas auf die Beine zu stellen, so im Kulturkino Zwenkau oder in der kleinen evangelischen Gemeinde von Claußnitz, wo über 130 Leute kamen und höchst vehement drei Zugaben forderten, uns köstlich bekochten und liebevoll in privaten Unterkünften aufnahmen. Wir begegneten Menschen, die mitsangen mit Tränen in den Augen, Menschen, die von ihren Großeltern erzählten, die immer dieses eine Lied sangen beim Abwaschen. Wir lernten kulturelle Inseln kennen, wo Menschen Gemeinschaft liebevoll gestalten.
Was für zwei Wochen: Gemeindehaus-Filterkaffee, Bockwurst, Karten-Spielrunden, Sonnenuntergang über der Bautzener Spree-Talsperre, Lagerfeuer und viele gute Gespräche. Wir gehen auch nachdenklich aus dieser Tour:
Es reicht nicht, ein Lied zu singen. Aber es tut gut, ein Lied zu singen!
Wie geht es jetzt weiter? Während wir diesen Brief schreiben, laufen die Vorbereitungen für die nächste Tournee auf Hochtouren. Gerade schreiben wir fleißig Förderanträge und sind im regen Austausch mit den Veranstaltern der Klappstuhl-Konzerte 2025. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir Sie im nächsten Jahr mit Ihrem Klappstuhl auf einem der Konzerte begrüßen dürften.
Herzliche Grüße,
Die Daffkes